Lebensenden

Kürzungsrate der Chromosomenenden sagt die Lebensspanne einer Art vorher

Kaum kann die Rheinmücke fliegen, ist das Leben auch schon wieder vorbei. Bescheidene 40 Minuten lebt das Insekt im Erwachsenenstadium. Elefanten hingegen können über 70 Jahre alt werden, Riesenschildkröten sogar fast 200. Warum unterscheiden sich Spezies so massiv in der Lebensdauer? Im Falle der Rheinmücke ist die Antwort simpel: Weil die Eintagsfliege keine Mundorgane besitzt, kann sie auch keine Nahrung zu sich nehmen. Sie lebt schlicht so lange, bis ihre Bordmittel aufgezehrt sind. Für die Mehrzahl der Arten lässt sich die jeweilige Lebensspanne allerdings nicht so leicht erklären. Spanische Forscher haben jetzt im Zoo von Madrid nach Antworten gesucht – und eine Spur gefunden, die zu den sogenannten Telomeren führt [Whittemore K et al. Proc Natl Acad Sci U S A. 2019;116(30):15122-7].

Flamenco
Flamingos im Zoo von Madrid. Von Flamingos und weiteren Tieren nahmen die Forscher Blutproben und bestimmten die Länge der sogenannten Telomere – schützende Strukturen am Ende der Chromosomen.

Sicherheitspuffer Telomere

Die Telomere sitzen als Schutzkappen an den Enden der Chromosomen (der Verpackungsform der DNA) und erfüllen zwei wesentliche Funktionen: Zum einen schirmen sie die Chromosomen gegen bestimmte zelleigene Enzyme ab. Und zum anderen ermöglichen sie es überhaupt erst, dass die DNA vor der Zellteilung vollständig dupliziert wird. Aus technischen Gründen würde sonst eine DNA-Kopie am Ende des Stranges immer ein Stückchen kürzer ausfallen als das Original. Das verhindern die Telomere, indem sie sich gewissermaßen selbst opfern: Nicht die DNA wird bei jeder Zellteilung verkürzt, sondern die Telomere. Auch wenn die DNA dadurch für viele Zellteilungen geschützt ist, bleibt das Telomer-Opfer nicht folgenlos: Unterschreiten die Telomere irgendwann eine gewisse Mindestlänge, kann sich die Zelle nicht mehr teilen und die sogenannte Zellalterung setzt ein.

Mit welcher Telomerlänge Organismen ins Leben starten, variiert dabei sehr stark zwischen unterschiedlichen Spezies. Beispielsweise sind bei Mäusen, deren Lebenserwartung bei 2–3 Jahren liegt, die Telomere ungefähr 50 Basenpaare (pb) lang; beim langlebigen Menschen fallen sie dagegen mit 5–15 pb eher kurz aus. Deswegen sind bisherige Versuche, die Lebenserwartung verschiedener Arten durch die Telomerlänge vorherzusagen, wenig erfolgreich gewesen. Einige Forscher haben daher die Hypothese aufgestellt, dass bezüglich der Lebenserwartung eher relevant ist, wie schnell die Telomere kürzer werden – und nicht, wie lang sie am Anfang sind. Spanische Forscher um Kurt Whittemore vom nationalen Krebsforschungszentrum in Madrid haben jetzt für diese Vermutung weitere Belege gesammelt und in den Proceedings der US-amerikanischen National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. Die Wissenschaftler hatten im Zoo von Madrid Delphinen, Ziegen, Rentieren, Flamingos, Geiern, Möwen und Elefanten Blut abgenommen und die Telomere in weißen Blutkörperchen bestimmt. Zusätzlich steuerten sie noch Daten von Mäusen aus dem hauseigenen Labor bei und verglichen die Telomerlängen mit Angaben zur Lebensspanne aus einer Datenbank.

Wie erwartet ließ sich weder die durchschnittliche noch die maximale Lebenserwartung der verschiedenen Arten durch die initiale Telomerlänge abschätzen. Dagegen konnte das Team mithilfe der Telomerkürzungsrate gut 80–90 Prozent der Speziesunterschiede in der maximalen und in der durchschnittlichen Lebensspanne erklären. Konkret heißt das: Je langsamer die Telomere kürzer werden, desto länger lebt eine Art. Die Forscher errechneten beispielsweise eine Kürzungsrate von 70 bp pro Jahr für Menschen und von 7.000 bp pro Jahr für Mäuse. Langlebige Tiere wie Elefanten liegen mit 110 pb pro Jahr eher am menschlichen Ende der Skala, kürzer lebende Möwen (770 bp/Jahr) eher am Maus-Ende.

Licht und Schatten der Studie

Entscheidet also die Kürzungsrate darüber, wie alt ein Lebewesen werden kann? Streng genommen lässt sich diese Frage mit der vorliegenden Studie nicht beantworten. Auf Basis dessen, was man über Telomere und die Zellalterung weiß, ist es nicht unplausibel, dass die Chromosomenenden irgendwie auch kausal am Altern beteiligt sind. Sie könnten aber auch bloß ein Faktor unter vielen sein – oder sogar nur formal mit dem Alter zusammenhängen. Das wäre dann der Fall, wenn ein dritter Faktor sowohl das Alter als auch die Telomerlänge beeinflusst. Und auch sonst ist eine gewisse Zurückhaltung bei der Bewertung der Befunde angebracht: Insgesamt haben Whittemore und seine Mitstreiter nur eine kleine Anzahl individueller Tiere untersucht, bei den Elefanten waren es beispielsweise nur drei. Zudem haben sie die initiale Telomerlänge errechnet und nicht direkt gemessen. Auch die Kürzungsrate hat das Team indirekt erschlossen, in dem es die Telomere von unterschiedlich alten Exemplaren einer Spezies vermessen hat. Um das Ganze wasserdicht zu machen, müsste man jetzt noch Organismen in Längsschnittstudien untersuchen. Bei langlebigen Arten wie Elefanten würde das natürlich gleich mehrere Forschergenerationen beschäftigen.

Eine Stärke der Arbeit ist, dass die Wissenschaftler eine sehr große Bandbreite an Lebewesen untersucht haben – und das vor allem mit ein und derselben Methode. Dadurch sind die Ergebnisse besser vergleichbar, als wenn unterschiedliche Forschergruppen für unterschiedliche Spezies unterschiedliche Messverfahren einsetzen. Und relevant sind die Befunde nicht nur für die Altersforschung. Auch für die Krebsmedizin ist es wichtig zu verstehen, wie Zellen altern bzw. eben gerade nicht altern: Unsterblichkeit wird nämlich schnell zum Albtraum, wenn es sich um Tumorzellen handelt.


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