Pink und Psychologie

Pink soll den Appetit zügeln, Aggressionen hemmen und ursprünglich mal eine Jungenfarbe gewesen sein. Wer da mal genauer nachfragt muss feststellen: Nichts davon ist wirklich belegt!

In die knallbunte Ausstattung des neuen Barbie-Films ist so viel Pink geflossen, dass die Farbe weltweit zeitweise ausverkauft war. Das hat zumindest die Produktionsdesignerin Sarah Greenwood in einem Interview mit dem Magazin Architectural Digest behauptet – nicht ganz ernst gemeint wohlbemerkt. Aber egal wieviel Liter Farbe es am Ende genau gewesen sein mögen, genug, um einmal mehr Diskussionen um Geschlechterklischees und Rollenstereotype loszutreten, waren es in jedem Fall. Und es ist ja auch wirklich abstrus: Wie kann es sein, dass von der Geburtskarte über Spielzeug bis zur Zahnbürste alles farbkodiert ist: rosa, wenn es um Mädchen geht; blau, wenn es Jungen betrifft. Muss man Geschlechter überhaupt nach Farben trennen? Und wenn ja warum mit diesen Farben?

Es war in der Menschheitsgeschichte sogar schon mal genau andersherum! Pink stand für Jungen, Blau für Mädchen. So lautet zumindest ein sehr beliebtes Argument, um zu veranschaulichen, wie willkürlich unser aktueller Farbdualismus ist. Rosa als kleiner Bruder des herrschaftlichen Königsrots sei jahrhundertelang Jungen vorbehalten gewesen. Blau – abgeleitet von klassischen Mariendarstellungen – habe dagegen zunächst nur Mädchen repräsentiert. Erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sei die heutige Konvention aufgekommen. Als Beleg dafür wird immer wieder eine Ausgabe der amerikanischen Frauenzeitschrift Ladies‘ Home Journal aus dem Jahr 1918 herangezogen (zum Beispiel hier oder hier oder hier oder hier). In der hieß es noch: „Die allgemein akzeptierte Regel ist: Rosa für Jungen und Blau für die Mädchen. Rosa passt als eine entschlossenere und kräftigere Farbe besser zu Jungen, während Blau, weil es delikater und anmutiger ist, bei Mädchen hübscher aussieht.“ Jetzt kann man natürlich fragen: War diese Regel wirklich so „allgemein akzeptiert“, wie es das Ladies‘ Home Journal dazumal behauptete?

Genau dem ist der Psychologe Marco Del Giudice von der University of New Mexico, Albuquerque, NM/USA, nachgegangen. Del Giudice hat mit Hilfe von Google Books, Online-Zeitungsarchiven und weiteren Quellen für den angloamerikanischen Raum systematisch nach Erwähnungen von Geschlecht und Farbe gesucht – und dann ausgezählt, wie viele der Stellen der heutigen Zuordnung entsprechen bzw. dieser zuwiderlaufen. Ergebnis: In Zeitschriften und Magazinen finden sich vor dem Jahr 1920 Belege für beide Varianten ungefähr gleich häufig; in Büchern dominiert dagegen bereits zum Ende des 18. Jahrhundert die heutige Zuschreibung von Pink als Mädchen- und Blau als Jungenfarbe. Die Datenlage ist damit zwar widersprüchlich – von einer kompletten Umkehrung der geschlechtlichen Farbzuordnung kann aber keineswegs die Rede sein.

Del Giudices Nachforschungen entkräften natürlich nicht die grundsätzliche Kritik an geschlechtsstereotypen Farbenlehren. Sie werfen aber zumindest die Frage auf, ob die derzeitigen Farbzuordnungen so willkürlich sind, wie manche meinen. Weil das aktuell dominierende Farbschema tendenziell über Kulturgrenzen hinweg auftritt und bei bestimmten Varianten der Geschlechtsentwicklung charakteristisch abweichen kann, ist vorstellbar, dass ihm eine gewisse biologische Disposition zugrunde liegt – die freilich massiv von Markt und Masse ausgeformt wird. Die Datenlage für eine solche biologische Mitverursachung ist bisher aber auch eher wackelig, da viele Effekte nicht konsistent auftreten.

Kürzlich hat zum Beispiel ein internationales Forschungsteam im Fachblatt Child Development Hinweise dafür vorgelegt, dass Mädchen und Jungen, die in Gegenden ohne starken westlichen Einfluss aufwachsen, die Farbe Pink nicht in stereotyper Weise präferieren bzw. ablehnen (Davis JTM et al. Child Dev. 2021). Die Daten stehen im Widerspruch zu früheren Untersuchungen und sprechen eher für eine kulturelle Wurzel der Farbstereotypie. Zu solchen empirischen Inkonsistenzen gesellt sich auch noch das Problem, dass bislang keine bestechende theoretische Erklärung vorliegt, warum Mädchen und Frauen im Gegensatz zu Jungen und Männern Pink bevorzugen sollten. 

Das hier abgebildete Pink entspricht in etwa dem Baker-Miller-Pink, so wie es mithilfe von Fotos rekontruiert worden ist. Mehr dazu bei Wikipedia.

Beträchtliche Probleme in Empirie und Theorie gibt aber auch noch bei weiteren Eigenschaften, die der Farbe Pink zugeschrieben werden: „Baker-Miller-Pink ist die einzige Farbe, die wissenschaftlich bewiesen beruhigend wirkt und den Appetit zügelt“, ließ Reality-TV-Star Kendall Jenner vor ein paar Jahren Fans in ihrem Blog wissen. Diese Information hätten ihr Freunde aus einer Kunstausstellung mitgebracht, was sie dazu motiviert habe, ihr Zimmer entsprechend zu streichen. Jenners Botschaft wurde in der Folge in Presse und Social Media fröhlich geteilt (auch in Deutschland: hier oder hier oder hier), wobei vor allem auf die appetithemmende Wirkung der Farbe abgestellt wurde. Aber was ist Baker-Miller-Pink überhaupt? 

Pink und Pazifismus

In den 1970er Jahren forschte der US-Psychologe Alexander G. Schauss, zu Wirkung von Farben auf Menschen. Basierend auf einer Mischung aus Selbst- und Fremdversuchen war Schauss zu der Ansicht gelangt, dass man durch das Betrachten einer pinkfarbenen Karte Herzrate und Muskelspannung senken könnte. Das wiederum brachte ihn nach eigenem Bekunden auf die Idee, eine mögliche aggressionslösende Wirkung der Farbe zu eruieren, der er zunächst den kryptischen Namen P-618 verpasst hatte. Dabei halfen ihm die Leiter eines Militärgefängnisses der US Navy in Seattle – Gene Baker und Ron Miller –, denen zu Ehren Schauss den Farbton später als Baker-Miller-Pink bezeichnete. Denn laut Schauss verlief der erste Feldversuch erfolgreich: In der von Baker und Miller rosagestrichenen Arrestzelle sei die Rate an gewalttätigen Zwischenfällen im Vergleich zu vorher komplett zurückgegangen. Weitere spätere Versuche in anderen Einrichtungen hätten diese Befunde bestätigt – und erweitert: So habe sich anbeglich in einem über vier Jahre laufenden Versuch am John Hopkins University Hospital in Baltimore mit fast 1.700 Teilnehmenden eine appetitzügelnde Wirkung der Farbe gezeigt.

Das Problem: Schauss hat die Durchführung und Ergebnisse dieser Versuche nirgendswo detailliert publiziert, geschweige denn einem sogenannten Peer-Review durch die Fachkollegenschaft unterzogen. Die Arbeiten genügen damit eigentlich keinen wissenschaftlichen Standards. Schauss und sein Team haben zwar später zur Wirkung von Baker-Miller-Pink im Gefängniskontext noch eine etwas systematischere Studie veröffentlicht; aber auch die wies methodische Probleme auf. Zur fraglichen appetitzügelnden Wirkung von Baker-Miller-Pink liegen dagegen – mit Ausnahme des diffusen Hinweises auf einen angeblichen Klinikversuch – bis heute weder von Schauss noch von anderen Arbeitsgruppen Studienergebnisse vor, die den Effekt belegen (bzw. widerlegen) könnten.

Das bisher stärkste Argument, dass Baker-Miller-Pink vielleicht nicht so wirkt, wie es sich sein Erfinder erhofft hatte, kommt aus der Schweiz: Dort hatte 2015 ein Team um den Psychologen Oliver Genschow in der Justizvollzugsanstalt Pöschwies in Regensdorf einen recht gut kontrollierten Feldversuch durchführen lassen, bei dem Gefangene nach Verstößen gegen die Gefängnisordnung per Zufall in rosafarbene und weiße Zellen verlegt wurden. Ergebnis: In puncto aggressives Verhalten gab es keinerlei Unterschied zwischen den Zellen in Baker-Miller-Pink und jenen in Weiß (Psychol.Crime Law. 2015).

In der Gesamtschau teilt Pink damit das Schicksal von Farben wie Rot, das angeblich attraktiver macht, oder Blau, das vermeintlich die Konzentration fördert: Bei strengerer Prüfung bleiben am Ende von solchen Farbwirkungsversprechen nur sehr kleine oder gar keine Effekte übrig. Dann doch lieber einfach die Farben genießen – und wenn es Barbie-Pink ist! 

Moritz Borchers


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