Wenn Feen und Kühe gegen COVID-19 helfen

Stille Feiung, Quarantäne, Vakzine – die Welt der Keime und ihrer Kontrolle ist voller merkwürdiger Begriffe. Häufig steckt dahinter sogar eine spannende Geschichte. Ein paar Beispiele.

Diejenigen von uns, die sich in diesen Tagen in Quarantäne begeben mussten, sind vermutlich sehr froh, dass für die Isolationsdauer nicht die Anzahl der Tage veranschlagt wird, die qua Begriff eigentlich vorgesehen ist. Das Wort Quarantäne leitet sich nämlich vom italienischen quaranta ab, was „vierzig“ bedeutet [Sehdev PS. Clin Infect Dis. 2002;35(9):1071-2].

Das Konzept einer präventiven Isolation von bestimmter Dauer wurde im 14. Jahrhundert etabliert, als die Pest in Europa wütete. Verschiedene Städte verfügten zu dieser Zeit, dass Reisende erst dann eingelassen würden, wenn sie zuvor eine bestimmte Zeit isoliert vor den Toren der Stadt verbracht hatten. Zunächst war dabei von einem Monat bzw. 30 Tagen die Rede, was auch als trentino (italienisch für „dreißig“) bezeichnet wurde. Der Zeitraum wurde später auf 40 Tage erweitert, was schließlich mit dem Wort Quarantäne Eingang in viele Sprachen weltweit gefunden hat (engl.: quarantine; türk.: karantina; dän.: karantæne; russ.: карантин). Im engeren Sinne beschreibe der Begriff Quarantäne die Praxis von Hafenstädten während der Pest, Schiffe vierzig Tage vor Anker liegen zu lassen, bevor den Besatzungen das Einlaufen gestattet wurde, so Ronnie Henry von der US-Seuchenbehörde CDC in Atlanta, GA/USA [Henry R. Emerg Infect Dis. 2013;19(2):263].

Warum die Dauer der Isolation von 30 auf 40 Tage eskaliert wurde, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Unter anderem folgende Hypothesen finden sich dazu in der Literatur: [vgl. Sehdev PS. Clin Infect Dis. 2002;35(9):1071-2; Henry R. Emerg Infect Dis. 2013;19(2):263]:
  • Die 30-Tages-Periode könnte sich mit Blick auf die Pestbekämpfung schlicht als ineffektiv – also als zu kurz – erwiesen haben.
  • Es könnte ein Zusammenhang mit christlichen Praktiken bzw. biblischen Überlieferungen bestehen. Zum Beispiel ist die Fastenperiode, die im Christentum dem Osterfest vorangeht, 40 Tage lang. Das wiederum geht möglicherweise auf die biblische “Versuchung Jesu” zurück, eine in drei Evangelien (Markus, Matthäus und Lukas) verbreitete Geschichte, nach der Jesus 40 Tage fastend in der Wüste verbrachte und dort den Versuchungen des Teufels widerstand. Die 40-tägige Quarantäne könnte aber auch auf andere Erzählungen aus der Bibel rekurrieren: Die Sintflut dauerte 40 Tage; Moses verbrachte 40 Tage auf dem Berg Sinai; der Zeitraum zwischen Jesu Auferstehung und Himmelfahrt betrug 40 Tage.
  • Der Infektiologe Paul S. Sehdev, Portland, OR/USA, verweist zudem auf die Ähnlichkeit von Quarantäne und den sogenannten kritischen Tagen, letzteres ein Konzept der antiken griechischen Medizin. Kritische Tage seien jene 40-tägige Periode ab Kontakt mit einem Infektionsherd gewesen, binnen derer eine ansteckende Erkrankung ggf. ausbrechen würde [Henry R. Emerg Infect Dis. 2013;19(2):263].
Gute Fee, hilf uns!
Obschon uns – anders als zu Pestzeiten – keine 40-tägige Quarantäne droht, machen vielen bereits die wegen COVID-19 verhängten Kontaktbeschränkungen einigermaßen zu schaffen. Getrieben vom Wunsch nach baldiger Lockerung hofft dabei so manch einer auf etwas, was Virologen mit dem eigenartigen Begriff stille Feiung beschreiben; gemeint ist eine unbemerkte Immunisierung gegen die Erkrankung. Wäre es nicht schön, wenn wir nach flächendeckenden Antikörpertests feststellen: sehr viele von uns sind trotz fehlendem Impfstoff bereits gegen SARS-CoV-2, den viralen Auslöser von COVID-19,  immun geworden – und das sogar, obwohl sie gar nicht bewusst krank waren? Vermutlich ohne es zu wissen, hoffen wir dabei auf die Hilfe von guten Feen:
  • zum einen metaphorisch, weil eine stumme Immunisierung weiter Teile der Bevölkerung im Moment nach Auffassung von Christian Drosten, Leiter des Institus für Virologie an der Charité Berlin, als wenig wahrscheinlich gelten kann [https://www.ndr.de/nachrichten/info/coronaskript170.pdf];
  • zum anderen aber auch ganz wörtlich – das Wort Feiung stammt nämlich vom mittelhochdeutschen Wort Fei(e), was etymologisch mit Fee verwandt ist [www.dwds.de/wb/Fee]. Die im Vergleich zum Substantiv Feiung heute geläufigere Verbform gefeit sein, macht diesen Zusammenhang mit den Märchengestalten noch deutlicher: wer gegen etwas gefeit ist, der kann auf gute Mächte vertrauen, die ihn vor dem jeweiligen Übel schützen.
 El Hada del Lirio (Die kleine Fee), Gemälde (Öl auf Leinwand) von Luis Ricardo Falero, 1888;
Quelle: Wikimedia Commons

Kühe gegen Corona?
Wer in Sachen COVID-19 nicht auf Schicksalsmächte bauen mag, der setzt vielleicht auf einen Impfstoff – und damit indirekt auf sehr viel profanere Kräfte, nämlich Kühe! Schuld ist das Fachwort für Impfstoffe – Vakzin oder Vakzine –, was nichts anderes bedeutet als „von Kühen stammend“ (lat. vaccinus, von vacca für „Kuh“). Aber was haben Kühe mit Impfstoffen zu tun?

Hier kommt der englische Arzt Edward Jenner aus dem ländlichen Berkeley in Großbritannien ins Spiel. Jenner war an der Schwelle zum 19. Jahrhundert zu Ohren gekommen, dass Melkerinnen, die sich mit Kuhpocken infiziert hatten, gegenüber einer Infektion mit humanen Pocken (auch: Blattern; lat.: variolae; engl.: smallpox) geschützt wären [Riedel S. Proc (Bayl Univ Med Cent). 2005;18(1):21-5]. Die Infektion mit Kuhpocken verlief bei Menschen für gewöhnlich mild, so dass Jenner die Idee entwickelte, Menschen mit Kuhpocken zu infizieren und sie damit vor den gravierenden Folgen der Blattern zu schützen: Die Fallsterblichkeitsraten für Variolae lagen zwischen 20–60%, bei Kindern im Berlin des späten 18. Jahrhundert angeblich sogar bei bis zu 98% [Riedel S. Proc (Bayl Univ Med Cent). 2005;18(1):21-5]. Überlebten Infizierte die Erkrankung, waren sie nicht selten blind oder durch Vernarbungen entstellt.

Kuhpockenläsionen an der Hand der Melkerin Sarah Nelms, so wie Edward Jenner sie für seinen Bericht gemalt hat (vgl. Originalabbildung im Bericht hier). Material dieser Läsionen nutzte Jenner für seinen ersten Impfversuch gegen humane Pocken.
Quelle: Wikimedia Commons 

Am 14. Mai 1796 testete Jenner seine Hypothese, indem er einen 8-jährigen Jungen über zwei kleine künstliche Schnitte am Arm mit Material infizierte, das er aus den Kuhpockenläsionen einer Melkerin gewonnen hatte. Der Junge erkrankte mit mildem Fieber, wobei sich sein Zustand bereits nach zehn Tagen gebessert haben soll [Jenner E. 1798]. Im Juli desselben Jahres brachte Jenner erneut über Schnitte und Einstiche Material aus einer frischen Pockenpustel in beide Arme des Jungen ein. Dieses Mal stammte das Material aber von einer Person, die an humanen Pocken erkrankt war! Aus dem Umstand, dass der Junge nachfolgend nicht an den Blattern erkrankte, schloss Jenner auf die Wirksamkeit seines Verfahrens, das er Vakzinierung nannte. Nach zunächst zögerlichem Anlauf, setzte sich seine Vakzinierungsstrategie schließlich weltweit gegen andere Anti-Variolae-Maßnahmen durch (wie etwa gegen die sog. Variolation). Die ursprüngliche Vakzine wurde dabei im Laufe der Jahrzehnte auf heute nicht mehr vollständig nachvollziehbare Weise abgewandelt und weiterentwickelt (so handelte es sich bei späteren Varianten der Vakzine möglicherweise sogar um Pferdepockenderivate! Für eine aufschlussreiche Diskussion siehe zum Beispiel Schrick L et al. N Engl J Med. 2017;377(15):1491-2; Smith KA. Front Immunol. 2011;2:21).

Eine um 1910 von Ernest Board gemalte Darstellung, wie Edward Jenner am 14. Mai 1796 einen 8-jährigen Jungen (James Phipps) vakziniert. Quelle: Wikimedia Commons

Fakt ist, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 8. Mai 1980 die weltweite Ausrottung der Pocken verkünden konnte [https://tinyurl.com/WHO-POX-erad]. Das ist freilich nicht nur Jenners Verdienst, sondern eine Leistung, zu der ungezählte Menschen vor und nach Jenner beigetragen haben [vgl. Riedel S. Proc (Bayl Univ Med Cent). 2005;18(1):21-5; Smith KA. Front Immunol. 2011;2:21].

Impfstoffe gegen COVID-19 in Entwicklung
Fakt ist auch, dass sich die Bedeutung des Wortes Vakzinierung im anbrechenden 20. Jahrhundert vom Pockenkontext löste, sehr wahrscheinlich befördert durch Arbeiten des französischen Mikrobiologen Louis Pasteur [Baxby D. 2011]. Dadurch wurde es zu einem allgemeinen Begriff für verschiedene Strategien, Lebewesen gegen Infektionskrankheiten zu wappnen. Und auch diese Wortbedeutung wurde abermals erweitert: Seit einiger Zeit werden diverse Vakzinierungstrategien nun auch gegen Krebserkrankungen untersucht – und das keineswegs nur bei Malignomen, die durch Viren ausgelöst werden (wie etwa die meisten Zervixkarzinome). Einige dieser onkologischen Tumorvakzinierungskonzepte könnten jetzt auch im Zusammenhang mit COVID-19 interessant werden [vgl. Hodgson J. Nat. Biotechnol. 2020]. Zurzeit (Stand 8. April 2020) befinden sich 78 Impfstoffe gegen COVID-19 in aktiver Erprobung. Fünf dieser Vakzinen werden sogar bereits in klinischen Studien der Phase I am Menschen geprüft [Le TT et al. Nat. Rev. Drug Discov. 2020]:
Wenn wir alle (weiter) erfolgreich Social Distancing praktizieren, sollten diese Nachrichten aus der Wissenschaft doch die Hoffnung nähren, dass sich COVID-19 auch ohne 40-tägige Quarantäne und die Hilfe guter Feen besiegen lassen sollte!

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